Der Kavalleriedegen M1889 - Die Vorteile von Stoß und Hieb vereint?

 

Der KD 89 gilt als letzte bei der preußischen Kavallerie eingeführte Griffwaffe, ausgenommen Husaren. Bei Betrachtung der Klinge möchte man sich wundern: Eignet sich das zur Reiterwaffe?

Im Vergleich mit ausgesprochenen Kavalleriewaffen wie dem Blüchersäbel oder dem Pallasch wirkt der KD selbst in seiner schweren Variante mit Schörklinge eher zierlich. Die Klinge ist weder so breit noch so schwer wie etwa bei genannten Beispielen, läuft dafür aber erstaunlich spitz aus. Der vordere Teil der Klinge ab dem Schör ergäbe für sich genommen einen mehr als brauchbaren Dolch. Hierin liegt auch die Hauptfunktion der Waffe: Eine Optimierung für den Stoß lässt sich nicht leugnen.

 

Der "Entwurf einer Vorschrift über das Fechten mit dem Kavallerie-Degen Modell 86"

 

Die Einleitung genannten Buches bestätigt das oben gesagte:
"Das Fechten soll den Soldaten lehren, wie er mit seiner Waffe den Gegner kampfunfähig macht. Die Kampfunfähigkeit des Gegners wird sehr viel leichter durch den Stoß, als durch den Hieb erreicht, weil der Stoß sehr viel wirksamer ist und zu seiner Ausführung viel weniger Kraft und Zeit beansprucht.
Es soll daher mit dem Modell 86, welches die Wirksamkeit des Stoßes zu erhöhen bestrebt ist, hauptsächlich das Stoßfechten geübt werden."

Im Buch wird nun ein auf die Eigenheiten der Waffe zugeschnittenes Stoßfechten nach kreusslerschen Grundsätzen gezeigt. Interessanterweise hat sich der Autor dafür entschieden, die Handwendungen so wie im Gedeckten Hiebfechten zu benennen, statt wie im kreusslerschen Stoßfechten. So wird die Auslage hier mit Prim, statt wie sonst üblich mit Halb-Terz-halb-Quart (kurz: Halbquart) benannt, aus Sekund- und Terzwendung wird Hoch-Terz und Tief-Terz, die Quart Revers zur Tief-Quart. Auch Stöße in Prim, welche mit dem leichten Degen oder Stoßrappier nicht vorkömmen, werden beschrieben.

 

Eine reine Stoßwaffe?

 

Bevor man den KD aber zur reinen Stoßwaffe erklärt, nehme man einen solchen doch mal zur Hand und führe einige Schwipphiebe. Man wird bemerken: Es geht, sogar ziemlich gut. Der Schwerpunkt der Waffe liegt etwa vier Fingerbreit über dem Korb, die Klinge hat genügend Masse um beim Hieb Wirkung zu erzeugen,und der typische Zeigefingerdorn am Griff unterstützt den Schwipphieb ähnlich wie die Fingerschlaufe am akademischen Säbel. Man sollte auch die Einleitung zum "Versuch einer Vorschrift..." genau lesen: "Es soll[...]hauptsächlich das Stoßfechten geübt werden", nicht ausschließlich. Auch August Fehn schreibt:" Durch den Versuch, die verschieden geformten so wie die leichten und schweren Waffen gegeneinander zu gebrauchen,kann nur die eigentlich richtige Ansicht vom Ganzen erlangt werden, nämlich dass im Stoßfechten die größte Kunst liege und der Hieb dem Stoß in den meisten Fällen nachstehe. Das Gegenteil hiervon behaupten freilich viele Hiebfechter, welche mit dem Stoße nicht hinlänglich bekannt sind und welche zu dieser Behauptung die Argumente aus den Ereignissen des Kriegslebens nehmen. Viele Krieger, welche eine Stoßwaffe führen und wiederum vom Hiebfechten wenig Kenntnis besitzen, mögen hierzu auch die scheinbare Veranlassung gegeben haben, indem diese bei einem Glauben an zu große Sicherheit die ganze Schwäche ihrer Waffe, ohne gehörige Besonnenheit, auch sicher treffen zu können,dem Feinde hingeben und dann nicht selten in Folge eines solchen, fehlerhaften Angriffs vom Hiebfechter besiegt werden. [...]"
Für eine vollständige Fechtausbildung ist also unbedingt eine Kenntnis von Stoß UND Hieb erforderlich.

Fazit

Wir stellen also fest: Der KD ist eine stoßoptimierte, aber dabei noch hiebtaugliche Waffe. Die Vorzüge des Stoßes gegenüber dem Hieb geben Veranlassung, das Stoßfechten mehr zu üben, da aber nur derjenige auch Nutzen von diesen Vorteilen ziehen kann, der das Hiebfechten kennt und versteht, muss auch selbiges trainiert werden, zumal es bei der Ausbildung der Kraft des Armes und der Finger, welcher auch der Stoßfechter bedarf, unschätzbare Dienste leistet. Somit stellt der KD die vielleicht vielseitigste Übungswaffe für August Fehns modulares System dar, da mit selbigem das Hiebfechten erlernt, das Stoßfechten wiederholt und letztendlich auch der Übergang zum Hiebstichfechten mit dem Pallasch gemacht werden kann.